In der Kreispolitik haben die Grünen seit der Kommunalwahl an Gewicht gewonnen. Nun skizzieren sie ihre Ziele zu den Themen Busse, LGBTIQ und Flüchtlinge.
von Andreas Steppan, Tölzer Kurier und Isar Loisachbote, 06.04.2023
Bad Tölz-Wolfratshausen – Mit gesundem Selbstbewusstsein hat die Kreistagsfraktion der Grünen eine Halbzeitbilanz in der Mitte der Amtsperiode gezogen. „Die Kommunalwahl vor drei Jahren hat uns große Relevanz gebracht“, meinte Kreisrat Jakob Koch in einem Pressegespräch. Durch die Breite von 13 Mandatsträgern im Alter von 24 bis 70 Jahren und dem höchsten Frauenanteil unter den Kreistagsfraktionen (7 von 13) „sind wir gesellschaftlich in vielen Bereichen verankert“, sagte Fraktionssprecher Klaus Koch. Er fühlt sich zudem „getragen von der Richtigkeit unserer Positionen“ und einem dahingehenden „gesellschaftlichen Umdenken – die Zeichen sind zu eindeutig“. Im Kreistag ernten die Grünen laut Anneliese Wiedenbauer-Schmidt „fraktionsübergreifende Anerkennung“. Man habe „maßgeblich auf die Gestaltung der Landkreis-Politik Einfluss genommen“, sagte Barbara Schwendner, etwa bei den Themen Landschaftspflegeverband, Buslinien, Kulturförderung oder Hebammensprechstunde. Wohin es in der zweiten Hälfte der Amtszeit gehen soll, skizzierten die Grünen anhand verschiedener Themen.
Verkehrs- und Energiewende
Als „Sorgenkind“ auf dem Weg zur angestrebten Energiewende bezeichnete Grünen-Kreisrat Jakob Koch den Verkehrssektor. Deswegen sei es wichtig, den Bürgern „auf allen Ebenen Alternativen zum motorisierten Individualverkehr anzubieten“. Für die Kreispolitik bedeute dies: An neuen Buslinien und Taktverdichtungen, die der Nahverkehrsplan vorsieht, „darf nicht gerüttelt werden“, so Koch. Dazu brauche es Mut genauso wie Geduld. „Bis eine Taktverdichtung angenommen wird, kann es bis zu vier Jahre dauern.“ In MVV-Verbunderweiterung und 49-Euro-Ticket sehen die Grünen eine große Chance und konkrete Verbesserungen – und sie bleiben optimistisch, dass die damit verbundenen Kosten nicht durch eine Ausdünnung des Angebots eingespart werden.
Gesundheit
Hohe Wellen schlug vor rund zwei Jahren eine Debatte über die Zukunft der Kreisklinik in Wolfratshausen, an deren Ende ein Kreistagsbeschluss mit einem klaren Bekenntnis zum Erhalt der Klinik stand – aber auch mit dem Auftrag, Wege in eine solide Zukunft zu suchen. Aktuell aber hängt man hier in der Luft – es gilt abzuwarten, wie genau die angekündigte Reform der Krankenhauslandschaft durch das Bundesgesundheitsministerium aussieht. Für die Grünen sei dabei „felsenfeste“ Prämisse, „dass die Versorgung des gesamten Landkreises wichtig ist“, sagte für die Fraktion Anneliese Wiedenbauer-Schmidt.
Pflege
Der Mangel an Pflegeplätzen ist nach den Worten von Kreisrätin Barbara Schwendner ein „enormer Missstand“, der sich noch zuspitzen wird. „Das ist seit Jahren bekannt, aber es passiert einfach zu wenig“, beklagte sie. Der Landkreis sollte ihrer Meinung nach seiner „Hinwirkungspflicht“ auf die Schaffung weiterer Pflegeplätze verstärkt nachkommen und „proaktiver auf die Bürgermeister, Stadt- und Gemeinderäte zugehen“, damit die Kommunen – sie sind eigentlich zuständig – etwas bauen. Mechthild Felsch regte zudem an, dass der Landkreis im Internet eine „Pflegebörse“ einrichtet, die Angebot und Nachfrage an Hilfen und Leistungen zusammenbringt.
Jugend/Soziales/Familie
„Wir wollen sicherstellen, dass sich auch die LSBTIQ-Jugendlichen bei uns im Landkreis wohlfühlen.“ Das bezeichnete Kreisrätin Maria Demmel als „Herzensangelegenheit. Die Grünen-Fraktion hatte deswegen zunächst einen Antrag gestellt, von der Verwaltung einen Sachstand zu erfahren, welche Beratungs- und Hilfsangebote es im Landkreis für schwule, lesbische, bisexuelle, trans- und intersexuelle Jugendliche bereits gibt. Die Antwort wird in der Sitzung des Ausschusses für Jugendliche und Familie am 8. Mai vorgestellt. Die Grünen haben sich zusätzlich von Patrick Wolf, dem Genderbeauftragten des Bayerischen Jugendrings beraten lassen, wie sich Strukturen verbessern ließen. Demmel wünscht sich als Zeichen auch mehr „Regenbogenflaggen im öffentlichen Raum“.
Umwelt-/Artenschutz, Wirtschaft und Tourismus
Die wichtige Rolle der Bäuerinnen und Bauern beim Erhalt der Kulturlandschaft „mit blühenden Wiesen, Kühen auf der Weide, bewirtschafteten Almen und artenreichen Obstgärten“ betonte Kreisrätin Christine Mair, die selbst Biobäuerin ist. Als große Anliegen nannte sie daher, „Landwirtschaft, Tourismus und Umweltschutz in Einklang zu bringen“ und Gäste wie Einheimische in diese Richtung zu sensibilisieren. Als ein konkretes Projekt verfolgt sie eine Übersichtskarte der Direktvermarkter im Landkreis.
Kreisrat und Biologie-Professor Martin Goymann betonte die besondere Rolle der Moore, die ihm zufolge zwölf Prozent der Landkreis-Fläche ausmachen – allerdings größtenteils trocken gelegt sind. Landwirte nutzen diese Flächen oft zur Grassilo-Gewinnung. Der neu gegründete Landschaftspflegeverband könne helfen, für das ökologisch wichtige Ziel der Wiedervernässung „gemeinsame Lösungen zu finden, um diese Transformation konfliktarm zu verwirklichen“, so Goymann. Allgemein wünscht er sich, dass sich Landwirte außer als Nahrungsmittel- und neuerdings Energieproduzenten auch verstärkt als „Biodiversitäts- und Klimawirte“ verstehen.
Flüchtlingsunterkünfte/Migration
Für die Unterbringung und Integration von Geflüchteten forderte Barbara Schwendner „nachhaltige Lösungen“. „Wir können uns nicht alle paar Jahre zurücklehnen und sagen: ,O Gott, eine unvorhergesehene Welle trifft uns, weil dieser und jener Krieg ausgebrochen ist oder gerade die Balkanroute wieder offen ist.‘“ Es sei eine traurige Tatsache, „dass große Fluchtbewegungen von mühselig Beladenen fortlaufend bestehen. Viele Menschen werden zu Recht weiterhin Schutz und Sicherheit auch in Deutschland suchen und damit auch in unseren Landkreis verteilt werden.“ Je mehr langfristige Unterkünfte es gebe, desto weniger werde die Belegung von Turnhallen ein Thema sein. Vor allem appellierte Schwendner, dass die Kommunalpolitik das Thema mit „Umsicht und Ruhe“ und ohne „Klagementalität“ angeht. Dabei sei es wichtig, die Rahmenbedingungen für bezahlbaren Wohnraum, Kitas und Pflegeplätze zu schaffen, „damit der soziale Friede gewahrt bleibt“.
Haushaltspolitik
Eine „nachhaltige Wirtschaftspolitik, die die finanzielle Prosperität des Landkreises sichert“: Das ist nach Worten von Fraktionssprecher Klaus Koch die Basis, ohne die sich alle anderen politischen Ziele gar nicht erst bezahlen lassen. Bedenklich stimmt den Dritten Landrat dabei, dass Bad Tölz-Wolfratshausen in Sachen Steuerkraft auf Rang 18 unter den 20 oberbayerischen Landkreisen abgerutscht sei. Als wichtige Wirtschaftsfaktoren müsse sich der Landkreis daher zum Beispiel für die kleinbäuerliche Landwirtschaft und die Erhaltung des Tourismus-Standorts stark machen.
Koch forderte aber auch mehr Unterstützung vom Freistaat. Er wies darauf hin, dass der Landkreis die Ausführung vieler staatlicher Aufgaben übernehme, dabei aber 2022 nur 12,5 Millionen der 19,8 Millionen Euro Kosten erstattet bekommen habe. „Wir brauchen vom Freistaat eine ordentliche finanzielle Ausstattung, um den Strukturwandel, zum Beispiel im ÖPNV, hinzubekommen. Der Finanzausgleich genügt einfach nicht.“ Landkreisintern wünschte sich Koch, dass der Kreistag stärker die Eckpunkte vorgibt. „Wir wollen hier das Primat der Politik zurückhaben.“